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Die Fashion-Industrie – Produktions-Insights und ihre Schattenseiten

Seit vielen Jahren bin ich in der Fashion-Industrie tätig. Eine faszinierende Industrie – ich liebe die produzierende Industrie, die Tatsache, dass durch sie reale Güter entstehen, Produkte, die alle Menschen kennen und täglich nutzen. Als ich angefangen habe, in diesem Bereich zu arbeiten, war ich stark an die «Sendung mit der Maus» erinnert. Ich brannte dafür, nicht nur Kollektionen zu entwickeln, sondern endlich einmal eine richtige Fabrik mit eigenen Augen zu sehen! 2008 war es so weit. Ich reiste zum ersten Mal geschäftlich nach Südchina.

Meine Faszination für das Kreieren von Fashion und die Produktion dahinter ist umgebrochen. Und schon damals wusste ich von der Schattenseite, die Unmengen an Rohstoffen, Energie und Wasser, welche die Fashion-Industrie verschlingt. Und welche harte Arbeit dahintersteckt. Ich kann mich noch gut an das Kinderbuch «Anneli» von Olga Meyer erinnern, in dem die Autorin von der Frühindustrialisierung in der Schweiz vor rund 150 Jahren erzählt. Zu dieser Zeit war es normal, dass Kinder sechs Tage in der Woche in Fabriken schufteten und das Züriseewasser von den Färbereien bunt und total verschmutzt war. So lange ist das noch gar nicht her. Und die Geschichte wiederholt sich weltweit bis heute.

Einblick in eine Färberei (Video: Sabina Gasser)

Mit eigenen Augen Konfektionsfabriken, Strickereien und Färbereien zu sehen, haben mir diese Tatsache aber nochmals radikal bewusst gemacht. Dies, obwohl ich stets in qualitativ hochwertigen Produktionen unterwegs war. So wurde für mich im wahrsten Sinne des Wortes greifbar, wie viel tatsächlich 10'000 Meter Stoff und 20'000 BHs sind – eine riesige Menge! Und wie viele Menschen dafür arbeiten! Denn ja, es ist noch immer so: In der Produktion werden sehr viele Tätigkeiten von Hand verrichtet. Völlig andere Herstellungsprozesse als beispielsweise in der voll automatisierten Automobilindustrie.

Eine mächtige Industrie – jeder sechste arbeitstätige Mensch weltweit ist in der Textil- und Bekleidungsbranche tätig. Rund 60 bis 75 Millionen Menschen arbeiten in den Verarbeitungs- und Konfektionsfabriken der Modeindustrie. 150 Milliarden Kleidungsstücke werden jährlich produziert.

Mit all unserem Wissen, Digitalisierung, KI & Co. sollte eine Verbesserung hin zu einer sozial verträglicheren, ökologisch nachhaltigeren Fashion-Industrie möglich sein. Eigentlich ein nicht allzu komplexes, lösbares Problem. Faire Entlöhnung, faire Preise, moderne Umwelttechnik, bewusster Konsum. Die Fakten zeigen: die Entwicklung geht leider in die entgegengesetzte Richtung.

Ein paar Fakten:

  • Kleidungsstücke sind die am zweithöchsten gefährdete Produktkategorie für moderne Sklaverei.
  • 80 % der Arbeitnehmenden sind Frauen. Sie sind von Arbeitsrechtsverletzungen besonders stark betroffen.
  • Kleider sind für ca. 10 % der weltweiten Produktion von CO₂-Emissionen verantwortlich. 
  • Rund 60 % aller Kleider enthalten Kunststofffasern, 35 % des Mikroplastiks in den Meeren stammt von Textilien.
  • Etwa zwei Drittel der weltweiten Baumwoll-Anbaufläche wird mit genveränderten Sorten bepflanzt.
  • Es werden heute doppelt so viele Kleidungsstücke produziert wie 2012 – 150 Milliarden pro Jahr!
  • Als Gesellschaft kaufen wir heute in der Schweiz 400 % mehr Kleider als noch vor 20 Jahren.
  • Deutsche Frauen kaufen im Schnitt jedes Jahr 60 neue Kleidungsstücke. 40 % ihrer Kleider tragen sie nie oder nur zwei bis vier Mal.
  • Die Schweizer Konsument*innen werfen jedes Jahr über 100'000 Tonnen Kleider weg, von denen nur die Hälfte gespendet, weiterverkauft oder recycelt wird. Die andere Hälfte wird verbrannt.

Angesichts dieser Facts wurden zahlreiche Initiativen lanciert, allen voran die Nachhaltigkeitsziele SDGs (Sustainable Development Goals) der UNO. Es muss bei allen ein Umdenken stattfinden. Denn die Art und Weise, wie wir Kleider produzieren und konsumieren, hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren stark verändert. Wir produzieren viel mehr als früher. Und wir kaufen mehr Kleidung und geben weniger dafür aus. Ein Trend Richtung Slow Fashion zeichnet sich nicht ab, obwohl Konsument:innen informierter und umweltbewusster sind denn je.

Dies widerspiegelt sich in den wirtschaftlichen Gewinnern der Fashion-Industrie: Trotz Gesundheitsrisiken, mangelnder Nachhaltigkeit und Sklaverei-Vorwürfen ist der Ultra-Fast-Fashion-Anbieter Shein mit Sitz in Singapur (gegründet in China) mit über 30 Milliarden Umsatz im Jahr 2023 und 18 % Marktanteil das erfolgreichste Modeunternehmen weltweit. Sein Wert soll sogar höher sein als Zara und H&M zusammen. Der Börsengang in London steht bevor.

Eindrücke aus einer Stickerei (Video: Sabina Gasser)

Wir stehen mit Moya Kala und unserer Arbeit klar am anderen Ende des Unternehmensspektrums. Wir sind uns bewusst, dass wir uns in einer Nische bewegen. Umso überzeugter sind wir von der Wichtigkeit unserer Arbeit und neuen Geschäftsmodellen in der Bekleidungsindustrie. Fashion geht auch anders. Die monetäre Bewertung von Bekleidung ist absolut falsch und bildet mitnichten die Realität ab. Wir müssen uns als Konsument*innen nur wieder einmal vor Augen führen, was alles an Ressourcen, Arbeit, Fertigkeit und Know-how in einem Kleidungsstück steckt. Und wir als Anbieterinnen sind in der Pflicht, zu wissen, was wir tun. Aufzuzeigen, weshalb unsere Preise ganz anders sind als die von Shein. Wir tragen Kleider direkt auf der Haut, haben eine Beziehung zu ihnen, drücken unsere Persönlichkeit damit aus. Wir alle müssen ihren Wert für uns wieder neu entdecken. Übrigens, Kleider länger zu tragen und weniger zu waschen bewirkt bereits viel. Und das Zusammenstellen einer Capsule Wardrobe ist die ideale Grundlage, damit Styles häufiger getragen werden.

Moya Kala – Ethical Body Basics
For Women. Against Abuse.

Quellen: www.fashionrevolution.ch, www.fashionrevolution.org, www.nzz.ch, www.faz.net www.wienerzeitung.at

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