Ausgebeutet, missbraucht, im Stich gelassen, vernachlässigt, erschöpft – das ist für viele Frauen in der Textilbranche bitterer Alltag. Hier erzählen wir euch vier wahre Geschichten. Sie können uns dabei helfen, unseren Konsum kritisch zu hinterfragen.
Sumangali – glückliche Braut?
«Ich bin 14 Jahre alt und arbeite in einer Spinnerei in Tamil Nadu, Indien. Ich bin in einer armen Gegend in Indien aufgewachsen, für mich gibt es dort keine Beschäftigungsmöglichkeit. Eines Tages wurde ich angefragt, ob ich in die Stadt möchte, um dort in einer Spinnerei zu arbeiten. Mir wurde ein Pauschallohn versprochen für die nächsten Jahre, den ich als Mitgift für meine Hochzeit verdienen kann. Da meine Eltern kein Geld besitzen, war es mir wichtig, dass ich selbst für diese Kosten aufkommen kann und eines Tages einen Mann finde, der mich heiraten möchte. Als ich hoffnungsvoll in Tamil Nadu ankam, verschwand meine Vorfreude schnell. Gemeinsam mit anderen Mädchen schlafe ich in einer Baracke, es hat wenig Platz, kein Sonnenlicht und teils keine Betten. Das Essen ist rar und wir arbeiten zwölf Stunden pro Tag in Schichten, nicht selten nachts. Die Hitze und der Maschinenlärm sind kaum auszuhalten. Viele andere Mädchen sterben in dieser Zeit an Erschöpfung, bringen sich selbst um oder werden sexuell missbraucht, bis sie es nicht mehr aushalten. Ich kämpfe mich durch diese Zeit. Schlafmangel, Erschöpfung und Schmerzen begleiten mich ständig. Die Angst vor Missbrauch aber auch vor der Entlassung sind immer präsent. Ich habe keinen Arbeitsvertrag und kann keinen Kontakt zu meiner Familie aufnehmen, es ist wie im Gefängnis. Obwohl ich nur ein halbes Jahr als Auszubildende angestellt sein darf, bin ich mehrere Jahre in der Ausbildung und erhalten einen Lohn von rund 19 EUR im Monat anstatt 114 EUR. Ich kann mich nicht wehren, wie auch?»
Tiruppur wird auch die T-Shirt-Stadt genannt. Hier ist das Zentrum der Strickwaren, 60 bis 90% der Exporte dieses Subsektors werden hier produziert. In Tamil Nadus Spinnfabriken arbeiten rund 400'000 Arbeiterinnen. Man geht davon aus, dass rund 30% sogenannte Sumangali sind, was wörtlich «glückliche Braut» bedeutet. Die Mädchen arbeiten dort zwangsweise über mehrere Jahre, um sich ihre Mitgift zu verdienen. Dies gehört zu einer Form moderner Sklaverei, unter der vor allem Frauen leiden.
Quelle: Femnet 2016
Wer passt auf mich auf?
«Meine Mutter ist schwanger mit mir. Sie ist Näherin und arbeitet in einer Fabrik in Indien. Doch kurz vor meiner Geburt wird ihr grundlos gekündigt, dadurch erhält sie kein Mutterschaftsgeld und ist gezwungen, schnell wieder zu arbeiten. Da Kinder in der Fabrik nicht erlaubt sind und keine Stillpausen genehmigt werden, wachse ich ohne Muttermilch auf. Meine ältere Schwester ist sechs Jahre alt und betreut mich zu Hause. Nebenbei muss sie Heimarbeit leisten, sie näht Pailletten an Kleidungsstücke. Obwohl meine Schwester gut zu mir schaut, fehlt mir meine Mutter. Sie geht früh morgens und kommt spät abends nach Hause. Wir kommen nur knapp über die Runden, eigentlich fehlt es uns immer an genug Essen. Medikamente können wir uns nicht leisten. Mit vier Jahren komme ich in eine regionale Kita. Es gibt kein qualifiziertes Personal, wenig Spielsachen sowie keine Lernmaterialien. Meine Schwester arbeitet jetzt auch in einer Näherei und es gibt Tage, an denen ich den ganzen Tag allein zu Hause bin. Meine Mutter musste sich verschulden, damit wir überleben. Was habe ich für eine Zukunft? Bald werde auch als Heimarbeiterin ausgebeutet!»
Die Kampagne «Wer passt auf?» setzt sich dafür ein, dass Modeunternehmen ihre soziale Verantwortung wahrnehmen. Gemeinsam mit ihren Zulieferern sollen sie vor Ort eine gute Kinderbetreuung einrichten und die Rechte schwangerer Arbeiterinnen beachten, so dass die Gesundheit von Müttern und Kindern nicht gefährdet wird. Lanciert wurde die Kamapgne vom Verein FEMNET e.V. sowie der indischen Nichtregierungsorganisation Cividep. Die Zahl der Kinderarbeiter*innen im Alter von 5 bis 14 Jahren wird in Indien insgesamt auf 8,2 Millionen geschätzt. Meist werden Kinder aus ländlichen Gegenden mit geringer Bildung, aus niedrigen Hindu-Kasten, Stammesgemeinschaften und religiösen Minderheiten Opfer von Kinderhandel, Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung. Mit der Aussicht auf Arbeit werden sie in die Bekleidungsfabriken, Spinnereien und den Baumwollanbau gelockt, wo sie schlussendlich gezwungen werden, für wenig oder gar kein Geld unter gefährlichen Arbeitsbedingungen zu arbeiten.
Quelle: Femnet Factsheet Kinderbetreuung
Shilpi – Tage unter Trümmern
«Ich war 12 Jahre alt, als ich das erste Mal als Näherin in der Fabrik arbeitete. Ich war stolz, dass ich meinem Vater helfen konnte, sein kleines Haus von einem Verwandten zurückzukaufen. Vorher konnte ich nur dir ersten beiden Klassen besuchen, danach half ich meiner Mutter im Haushalt, bevor ich als Näherin arbeitete. Es war eine gute Zeit für mich und meine drei Geschwister. Ich verdiente rund 35 Euro pro Monat für meine Arbeit. Mein Bruder konnte dadurch zur Schule und ich konnte meiner Familie mit meinem Lohn helfen. Dann kam der Tag, der alles veränderte. Das Gebäude wurde bereits vorher evakuiert, doch der Inhaber Sohel Rana wollte trotz den Rissen im Gebäude nicht auf die Produktion verzichten. Obwohl meine Mutter mich davor gewarnt hatte, ging ich an diesem Tag arbeiten. Es schien zunächst ein normaler Arbeitstag zu werden. Doch dann war es plötzlich wie ein Erdbeben und das ganze Gebäude sackte innerhalb von Sekunden in sich zusammen. Alles war dunkel und ich wartet drei Tage unter den Trümmern, bis Hilfe kam. Ich dachte, die ganze Welt bricht in sich zusammen und ich werde das nicht überleben. Nach diversen Krankenhausaufenthalten, die nur dank einem Hilfswerk möglich waren, musste mein Arm amputiert werden. Sechs Jahre später stehe ich in Berlin auf der Bühne und erzähle meine Geschichte. Ich durfte dank dem Hilfswerk Meena eine Schulbildung absolvieren und möchte Richterin werden, damit ich mich für Gerechtigkeit einsetzen kann. Das Lernen hat mir geholfen, die Traurigkeit mit Hoffnung zu ersetzen. Doch nicht alle Opfer hatten so viel Glück wie ich.»
Am 24. April 2013 stürzte in Savar nahe der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka ein neunstöckiges Gebäude zusammen, welches fünf Textilfabriken beherbergte. Das bis heute grösste Unglück in der Geschichte der Textilindustrie forderte 1138 Menschenleben und über 2000 Verletzte und steht symptomatisch für die desolaten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der gesamten Textil-, Kleider- und Schuhindustrie weltweit.
Quelle: akzente.giz.de
Ich werde regelmässig vergewaltigt!
«Ich bin 16 Jahre alt und arbeite als Näherin in einer Textilfabrik in Kambodscha. Es ist meine einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Ich arbeite oft bis zu 19 Stunden am Tag im Akkord. Das bedeutet, ich mache immer den gleichen Arbeitsschritt. Ich nähe Reisverschlüsse ein. Wir werden nach Leistung bezahlt, das heisst ich muss immer eine bestimmte Anzahl Reissverschlüsse pro Tag nähen, bevor ich nach Hause gehen kann. Nicht selten werden es dann bis zu 19 Stunden am Tag. Ich muss oft nachts alleine im Dunkeln heimlaufen und fühle mich sehr unsicher. Ich höre immer wieder von anderen Näherinnen, dass sie nachts verfolgt und missbraucht werden. Ich werde regelmässig von meinem Produktionsleiter ins Büro gerufen, wo er mich vergewaltigt. Ich habe mich daran gewöhnt, auch wenn ich weiss, dass es nicht in Ordnung ist. Ich kann mir keinen Anwalt leisten, geschweige denn ein Urlaubstag nehmen, um bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Es würde sowieso nichts bringen, da ich sonst keine Arbeit mehr habe. Ich brauche diese Arbeit, um zu überleben.»
Über die Hälfte der Arbeiterinnen in Kambodscha hat schon sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Nur 15% der Gewerkschaftsführer*innen weltweit sind Frauen.
Quelle: Femnet Factsheet Gendergewalt 2018
Was macht Moya Kala anders?
Wir lassen unsere Kollektion in einem kleinen Familienbetrieb in Varna, Bulgarien produzieren. Wir sind seit Jahren regelmässig vor Ort und pflegen eine partnerschaftliche Beziehung zu allen Mitarbeitern. Wir sehen die Näherinnen regelmässig und können mit gutem Gewissen sagen, dass unsere Näherinnen eine sehr familiäre und positive Arbeitsatmosphäre geniessen. In unserer Partnerproduktion werden die Näherinnen auch ausgebildet und haben die Möglichkeit, verschiedene Arbeitsschritte umzusetzen. Sie haben einen fairen Lohn, genug Pausen und einen Produktionsleiter, der die Arbeiterinnen wie eine grosse Familie behandelt. 1% vom Umsatz zahlen wir zudem als Bonus direkt an unsere Näherinnen aus. Mit dem Kauf unserer Produkte unterstützt du uns dabei, das wir vermehrt auf die Ausbeutung von Frauen aufmerksam machen können und investierst auch in die Zukunft der Moya Kala Näherinnen in Bulgarien.
Warum produzieren wir in Bulgarien?
Moya Kala wurde 2017 von Claudine mit dem Ziel gegründet, Frauen in Bulgarien präventiv vor Ausbeutung zu schützen. Ihre Idee: Den Frauen mit einer fair bezahlten Arbeit eine sichere Lebensgrundlage zu bieten. Bulgarien gilt als Hotspot für Opfer von Menschenhandel. Besonders junge Frauen sind gezwungen, aufgrund von Armut und fehlender Perspektiven in den Westen zu reisen. Dort landen sie nicht selten in einem ausbeuterischen Verhältnis in der Prostitution. Deshalb investieren wir in unseren bulgarischen Partner-Produktionsbetrieb, damit stabile Arbeitplätze direkt vor Ort angeboten werden können und die dort beschäftigten Näherinnen einen sicheren Job und ein sicheres Einkommen haben. Dies hilft ihnen, ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen.
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