Bei «Women in the Spotlight» stellen wir Frauen vor, die uns beeindrucken – weil sie Grossartiges tun, etwas Spannendes ins Leben gerufen haben oder sich dafür einsetzen, dass sich Dinge verbessern. Heute: Nora Wilhelm, die stille Kämpferin.
Nora hat ein fokussiertes und starkes Auftreten. Sie weiss, wofür sie steht, und doch hat sie eine wohlwollende, ermutigende Art, die sehr sympathisch wirkt. Sie hat ein sanftes Erscheinungsbild, aber wenn man mit ihr spricht, merkt man schnell: In dieser jungen Frau stecken sehr viel Stärke und Erfahrung.
Nora setzt sich auf verschiedenen Ebenen für Gerechtigkeit ein. Schon als Kind hat sie gemerkt: Irgendwie ist sie anders und hat einen Antrieb in sich, den andere nicht immer verstehen. Sie hat einen hohen Gerechtigkeitssinn und hat vieles hinterfragt. Wenn in der Schule klare Rollenbilder vermittelt wurden, beispielsweise dass Mädchen nicht Pfeilbogenschiessen sollten, konnte sie das nicht nachvollziehen.
Schon als Teenager kam sie mit Themen wie dem Ruanda-Genozid in Berührung. Das Gefühl damals hatte ihr den Boden unter den Füssen weggezogen. Sie konnte nicht verstehen, warum Menschen so grausam sein können und warum es nicht verhindert werden konnte. Ebenfalls beschäftigte sie sich mit der Abholzung im Amazonas oder mit Schlachthäusern. Es dauerte einige Zeit, bis sie dies verarbeiten konnte, doch sie wusste: Sie möchte sich für Wandel einsetzen. Deshalb engagierte sie sich schon früh in diversen Bereichen. Da sie in Genf aufgewachsen ist, hatte sie auch Kontakt zur UNO oder zum Roten Kreuz und tauchte in diese Welt ein.

Nora (links) und Claudine von Moya Kala im Gespräch.
Claudine: Wie würdest du dich vorstellen, Nora?
Nora: Ich würde sagen, generell setze ich mich für Wandel ein. Ich engagiere mich für eine Zukunft, die regenerativ ist, anstatt extraktiv (auslaugend) und ausbeuterisch, wie wir es von der Gegenwart kennen. Also eine Welt, die fairer und nachhaltiger ist.
Einerseits habe ich mit Parayma eine Organisation gegründet, die Menschen unterstützt, die sich ebenfalls für Wandel einsetzen möchten. In der ersten Gruppe sind Menschen, die persönlich etwas tun möchten, aber noch nicht wissen wie oder was. Die zweite Gruppe fragt sich: Wie kann ich den Wandel vorantreiben, den ich mir wirklich wünsche? Sie haben beispielsweise in der Schule gewisse Ansätze gelernt, merken in der Praxis jedoch, dass es nicht reicht, weil die Herausforderungen komplexer sind und der Widerstand gegen Wandel stärker ist, als man anfangs denkt. Die dritte Gruppe sind Menschen, die bereits im Bereich Systemwandel arbeiten, die ich bei den Herausforderungen unterstützen und begleiten darf.
Persönlich trete ich auch als System-Change-Advocate auf, zum Beispiel als Rednerin, Moderatorin oder Beraterin. Ich unterstütze Organisationen wie das BAFU oder die Stadt Zürich, Unternehmen, Vereine und Stiftungen. Dabei kann es sein, dass ich eine Rede halte, um zu inspirieren, oder es geht darum, einen Workshop durchzuführen, um eine neue Strategie für den Systemwandel zu entwerfen.
Dann habe ich noch «The Well • Change Atelier» gegründet. Ich bin selbst in ein Burnout geraten und habe gelernt, dass es wichtig ist, anders über diese Themen zu sprechen. Es geht darum, mit der Welt verbunden zu bleiben und einen Beitrag zu leisten, aber gleichzeitig auf sich selbst zu achten. Diese Arbeit braucht nämlich Zeit – es ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Mir hat es sehr geholfen, mit Kunst oder unterschiedlichen kreativen Prozessen in Verbindung zu kommen, die Energie regenerieren und Kraft sowie Inspiration für die nächsten Schritte zu tanken.
Und so nebenbei mache ich noch ein Doktorat zum Thema Systemwandel. 😉
Wow, denke ich, das ist mir fast zu viel. Ich höre dir zu, Nora, und denke nur: Wie alt bist du noch mal? Du hast schon sehr viel erreicht und engagierst dich in vielen Themen. Wie reagieren die Leute auf dich? Nehmen sie dich ernst, schätzen sie eine junge Persönlichkeit, die sich so stark engagiert, oder wirst du manchmal auch belächelt?
Ich habe schon früh Unterstützung von diversen Förderorganisationen erhalten, die mir halfen, mehr Reichweite zu bekommen. Andererseits habe ich aber auch erlebt, dass Menschen mir mit einer Haltung entgegentraten: Who do you think you are? Ich wurde teils als naive Idealistin abgestempelt. Oft kamen solche Reaktionen von älteren, privilegierten Männern in Machtpositionen, die mit dem Status quo zufrieden sind und keine Veränderung möchten. Und wenn man diese Personen herausfordert – noch dazu als junge Frau –, wird man oft nicht ernst genommen. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und weiterzumachen, bis sie uns nicht mehr ignorieren können.
Kannst du uns Systemwandel anhand der Textilindustrie näher erklären? Wie funktioniert das?
Ich bin keine Expertin in diesem spezifischen Thema, also würde ich auf jeden Fall mit einer Person zusammenarbeiten, die es ist – zum Beispiel mit jemandem wie dir. Ich habe verschiedene Modelle, die wir gemeinsam anwenden würden, um herauszufinden, was die Symptome und Ursachen dieser Problematik sind.
Zum Beispiel sind Ausbeutung, Umweltverschmutzung und Vergiftungen Ergebnisse dieser Industrie und in diesem Kontext Symptome einer tieferen Problematik. Also gehen wir eine Stufe weiter nach unten und schauen, welche Gesetze, Regulationen und Strukturen diese Resultate ermöglichen. Was ist erlaubt und was nicht? Welche Standards gibt es und welche fehlen?
Dann gehen wir noch eine Ebene tiefer und fragen uns: Wer entscheidet das? Sind es politische Ämter, Organisationen oder Einzelpersonen? Können wir diese benennen?
Und auf der tiefsten Ebene überlegen wir: Welches Paradigma liegt dem zugrunde? Was muss man bewusst oder unbewusst glauben, damit überhaupt so gehandelt wird?
Diese Analyse ermöglicht es uns zu erkennen, wo wir ansetzen müssen, damit wir nicht nur Symptome bekämpfen, sondern das System nachhaltig verändern.
Wie kann dieser Wandel aussehen? Wir könnten zum Beispiel prüfen, welche Gesetze oder Standards geändert werden müssen, welche Entscheidungsträger*innen erreicht werden können oder wie wir Menschen in diese Rollen bringen, die nicht Profit über Menschen und Umwelt stellen.
Das kann durch Lobbyarbeit, Stakeholder-Arbeit oder Kampagnenarbeit geschehen. Manchmal braucht es auch neue Lösungen, wie etwa innovative Materialien. Doch selbst dann müssen wir sicherstellen, dass solche Innovationen finanziert werden können und nicht von grossen Playern blockiert werden.Und genau das ist meine Arbeit: Thematische Expert*innen dabei zu unterstützen, die strategischen Hebelpunkte zu identifizieren und herauszufinden, wo sie den grössten Unterschied machen können.
Haben wir in den letzten zehn Jahren überhaupt etwas erreicht? Wenn wir die aktuelle Situation betrachten, dann scheint vieles um Jahre zurückzufallen.
Ich glaube, das Level an Pushback, das wir jetzt erleben, wäre nicht so stark, wenn es nicht auch Fortschritte gegeben hätte. Vielleicht war ein Fehler, dass wir uns zu sicher gefühlt haben, dass es in Richtung mehr Freiheit und Gerechtigkeit weitergeht, und wir uns zu wenig darauf vorbereitet haben, dass es auch Rückschläge geben kann.
Also ja, es macht mir Sorgen, was wir derzeit beobachten. Gleichzeitig gibt es aber auch Anzeichen dafür, dass wir vor einem Umbruch stehen. Studien zeigen, dass ein erhöhter Fokus auf Entertainer*innen, Sportler*innen und der zunehmende Narzissmus Anzeichen dafür sein könnten, dass eine Zivilisation ihrem Ende entgegengeht. Das war bei den Römern und Azteken so – und vielleicht auch bei uns jetzt. Brot und Spiele – eine Form der Ablenkung.
Die Handlungen von Trump und Co. kann man auch als verzweifelten Versuch sehen, an der Macht festzuhalten. Wir müssen uns wehren und engagieren, denn ohne das geht nichts voran. Aber die aktuelle Lage kann ich auch als Zeichen deuten, dass wir am Ende eines alten Paradigmas stehen – und vor einer Neugeburt.
Was mir allerdings grosse Sorgen macht, ist die extreme Konzentration von Geld und Macht. Sie nimmt unglaubliche Ausmasse an, die wir uns kaum vorstellen können. Es ist schwer zu sagen, wo wir genau stehen und wohin das führt. Wichtig ist, dass wir die Hoffnung behalten und nicht in Panik geraten – denn genau das ist das Ziel dieser Personen. Wir müssen unbedingt dranbleiben, fokussiert sein und für unsere Werte einstehen.
Was würdest du den jüngeren Generationen von Frauen mitgeben?
Folge deinem Interesse, deinem Herzen! Folge dem, was dich ruft. Ich glaube, es entsteht viel Magie und Kraft, wenn wir uns dem hingeben, was uns antreibt. Manchmal zeigt sich erst im Nachhinein, warum ein bestimmter Weg richtig war. So finden wir unseren einzigartigen Beitrag.
Zweitens: Lerne möglichst früh zu unterscheiden, was deine eigene Stimme ist – und was die Stimme der Gesellschaft oder anderer Menschen. Lass dir von niemandem einreden, deine Träume und Projekte seien zu ambitioniert. Vor allem nicht von Menschen, die selbst keinen eigenen Weg gehen oder sich nicht engagieren.
Liebe Nora, du hast dich letztes Jahr bei Moya Kala gemeldet. Warum?
Für mich war es zum Beispiel sehr einfach, die Entscheidung zu treffen, Vegetarierin zu werden. Aber bei Kleidung war das emotional schwieriger, weil ich meinen Selbstwert unter anderem mit Mode verbunden habe. «Kauf dies – dann wirst du schön sein, dann wirst du dich gut fühlen.» Der Schritt, keine Fast Fashion mehr zu konsumieren, fiel mir daher schwer.
2016 habe ich begonnen, mich intensiver mit der Textilindustrie auseinanderzusetzen, und erkannt, dass ich das nicht mehr unterstützen kann. Ich musste einen regelrechten «Detox» machen. Eine Zeit lang konnte ich nicht mehr durch eine Altstadt laufen, weil ich überall Gelegenheiten sah, Kleidung zu kaufen.
Mittlerweile kaufe ich nur noch Secondhand oder Kleidung, bei der ich genau weiss, woher sie kommt und dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt wurde.
Bei Moya Kala hat mich überzeugt, dass ihr nicht nur transparent seid und fair sowie nachhaltig produziert, sondern euch auch mit schwierigen Themen auseinandersetzt. Der Slogan «For Women. Against Abuse.» hat mich deshalb sehr berührt. Ich finde es schön, dass ich euch als Modelabel mit gutem Gewissen weiterempfehlen kann.
«Sound of Silence»
Nora Wilhelm hat für uns zu unserer aktuellen Frühlings-/Sommerkollektion «Sound of Silence» ein wunderbares Gedicht geschrieben. Du findest es hier als Video und Text. Lass dich inspirieren!
Underneath the noise
Underneath the chatter
There is a silence
So heavy
You could drink it
It trails around wild places
Like low hanging fog
Have you ever met it?
It is a silence so loud
The more you ignore it
The more likely it is to scream at you
Urging you to slow down
To breathe
To listen
To just be
In this silence
nature, love, wisdom
and all that makes life worth living
make themselves known
They will sing to you their songs
of heartache and of bliss
They will strip you down
to your bare bones
to your essence
removing all illusions
falsehoods
and pretenses
revealing who you truly are
and oh
what a relief that will be
If you have been running
from yourself, from truth
Listen
On your every walk
You will hear them trailing your steps
Murmuring to you
Hey, are you ready to come home?
Mehr über und von Nora findest du hier:
www.norawilhelm.org
www.norawilhelm.org/blog/parayma
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